Über seine Arlesheimer Orgel hat ihr Strassburger Erbauer Johann Andreas Silbermann u. a. folgende Notizen hinterlassen:
«Aô: 1759. Auf Begehren des Dom Capitels bin Freitag den 26. October dahin abgefahren, einen Riβ gemacht, den 2. Novembr: den Accord vor Capitel gemacht.»
Und an anderer Stelle: «Aô: 1761 Samstag den 4. Julij bey abscheulichem Reegenwetter sind 5 Wägen kommen, 2. Wein= und 3. Laiter Wägen. Ich schückte den Hans Georg [den Gesellen] mit. Montag, den 6. bin mit dem Daniel [dem Sohn] auf der Dilligence [der Kutsche] nach Basel gefahren, den anderen Tag nach Arlesheim. Samstag den 29. Aug. damit fertig worden.»
Typische Register: Zungenpfeifen und Kornette
Die Orgel besass ursprünglich 32 Register, verteilt auf drei Manuale (Hauptwerk, Rückpositiv, Echo) und Pedal. Die Klangfarben entsprechen weitgehend denjenigen einer französischen Barock-Orgel und zeichnen sich deshalb durch einen speziell grossen Reichtum aus.
Typisch für französische Orgeln ist der verhältnismässig grosse Anteil an Zungenregistern (Trompette, Voix humaine, Cromhorne, Basson). Bei den Zungenpfeifen entsteht der Ton nicht wie bei den häufigeren Labialpfeifen durch die Schwingung der Luftsäule in der Pfeife sondern durch die Schwingung eines kleinen Messingplättchens (vgl. Mundstück eines Rohrblattinstrumentes wie z.B. Klarinette).
Andere typisch französische Register sind die Kornette. Das Kornettregister (französisch: Cornet) klingt, wie der Name sagt, ähnlich wie ein Blechblasinstrument und kommt in Arlesheim gleich viermal vor, nämlich zweimal im Hauptwerk, einmal im Rückpositiv und einmal im Echo. Beim Kornett wird jeder einzelne Ton durch 5 verschiedene, gleichzeitig klingende Pfeifen erzeugt. Die grösste Pfeife liefert dabei den Grundton, die anderen vier verstärken seine natürlichen Obertöne so, dass die charakteristische Kornett-Klangfarbe entsteht.
Die Kombination von Zungen- und Kornettregistern ergibt das glanzvolle «Grand Jeu», eine Klangfarbe, die eigentlich ausschliesslich mit französischen Orgeln erzeugt werden kann und in Arlesheim nicht zuletzt der ausgezeichneten Akustik wegen besonders schön zur Geltung kommt.
Höchste Klangqualität
Daneben besitzt die Arlesheimer Orgel aber auch eine Reihe sanfter Stimmen. Zauberhaft sind vor allem die Silbermannschen Flöten: Die tiefere Version in den drei Manualen heisst jeweils Bourdon 8′, die höhere Version, in Arlesheim nur im Rückpositiv vorhanden, ist die Flûte 4′. Im Pedal sind es Subbass 16‘ und Oktavbass 8‘.
Hervorragend klingen auch die Prinzipalregister. Das sind die Haupt-Register, die zwar jede Orgel besitzt, in Arlesheim jedoch von einer ganz aussergewöhnlichen Qualität sind. Sie heissen Montre 8′, Prestant 4′ und Doublette 2′. Ein Teil der Montre- und Prestantpfeifen ist in den Prospekten des Hauptwerks und des Rückpositivs zu sehen.
Besonders effektvoll ist das Spiel mit dem Echo. Silbermann hat nur seine grösseren Instrumente mit einem dritten Manual (Echo) ausgestattet, und wenn, dann in der Regel nur mit den beiden Diskant-Oktaven. In Arlesheim hingegen realisierte er im dritten Manual auf separaten Windladen auch die beiden Bass-Oktaven.
Umbau und Romantisierung im 19. Jahrhundert
Leider wurde die Arlesheimer Silbermann-Orgel 1888 durch die Firma Weigle aus Stuttgart ziemlich stark umgebaut. Der Grund war der, dass den Organisten und dem Publikum in der Zeit der Romantik vor allem die scharfen Zungenregister, aber auch die hohen Mixturen nicht mehr gefielen. Diese sind für die Interpretation der romantischen Orgelmusik grundsätzlich nicht geeignet. So wurden rund 40% der Pfeifen eingeschmolzen und neue romantische Register hergestellt. Auch wurde die ganze Windlade des Rückpositivgehäuses samt Pfeifen in ein neues Schwellwerk hinter die Orgel gebracht. Ins Rückpositivgehäuse kam der neue Spieltisch mit den Tasten zum «Vorwärtsspielen», sodass der Organist in Richtung Hochaltar blicken konnte.
Die Silbermanns in Basel und Arlesheim
Addendum zum Katalog «Silbermann – Geschichte und Legende einer Orgelbauerfamilie», erstellt für die gleichnamige Ausstellung im Forum Würth Arlesheim.
Restaurierung durch Metzler
In den Jahren 1959 bis 1962 wurde die Orgel durch die Firma Metzler, Dietikon, unter der Leitung des Fachexperten Heinz Kobel gründlich restauriert: Die Windladen und Pfeifen wurden wieder an den alten Ort gebracht, fehlende Pfeifen nach Silbermannschen Vorbildern im Elsass rekonstruiert oder historische Ersatzregister gekauft und eingebaut. Im Pedal kamen fünf zusätzliche Register dazu. Silbermann hatte nur drei Pedalregister gebaut. Das war für die altfranzösische Orgelmusik genügend. Da wir aber heute z.B. auch Musik von Bach, bei der das Pedalspiel unerlässlich ist, wiedergeben wollen, war diese Erweiterung notwendig.
Im Rahmen der Restaurierung wurde vom damaligen Orgelbauexperten Heinz Kobel eine Dokumentation erstellt – der sogenannte «Kobel-Bericht» –, die eine der Grundlagen der damals ausgeführten Restaurierung bildete.
Neue Windanlage von Edskes
Leider baute Metzler einen Blasebalg in damals moderner Art als Magazinbalg in Quaderform ein, was die Windzufuhr im Gegensatz zu historischen Balg-Anlagen nicht eben geschmeidig machte. Dies wurde im Jahre 1998 korrigiert: Die Firma Edskes, Wohlen, baute eine neue Windanlage mit zwei Keilbälgen wie im barocken Orgelbau üblich.
Reparatur durch «Manufacture d’Orgues Kern»
Im Laufe der Jahrzehnte begann die Silbermann-Orgel daran zu leiden, dass die Windladen nicht mehr dicht waren, sodass sich Wind auch in die Nachbarpfeifen der zu spielenden Töne schleichen konnte. Die Schäden waren vermutlich vor allem wegen zu grosser Trockenheit während der Heizperioden entstanden, aber auch dadurch, dass das Eichenholz der Silbermann’schen Windladen ein stolzes Alter von bereits über einem Vierteljahrtausend aufweist! Eine gründliche Reparatur der Orgel drängte sich auf.
Im Oktober 2004 wurden die Einzelteile des Hauptwerks, des Rückpositivs, des Echo-Diskants und des historischen Pedalwerks sorgfältig demontiert und die Windladen und zahlreiche Teile des Gehäuses ins Elsass in die Werkstatt in Hattmatt (Gaston Kern) gebracht. Bevor die Reparatur begann, hatte der Orgelbaumeister die Schäden nochmals mit dem Experten und Silbermann-Forscher, Dr. Marc Schaefer, genau analysiert und mit ihm beraten, wie die Risse geflickt werden sollten. Danach wurden die Windladen mittels diversen sehr aufwändigen Verfahren in wochenlanger Arbeit wieder dicht gemacht.
Am Gehäuse mit seinen wunderbaren Schnitzereien, die im Auftrag Silbermanns von Anton Ketterer aus Colmar angefertigt worden waren, nagte im Laufe der Jahrhunderte ebenfalls der Zahn der Zeit. Die beiden «Ohren» links und rechts der Aussentürme des Hauptwerks wurden abgebaut und in der Werkstatt in Hattmatt restauriert, die offenen Leimfugen der geschnitzten Engelköpfe neu geleimt und wieder sicher befestigt. Die anderen Skulpturen wurden ebenfalls in der Werkstatt restauriert und alle grösseren fehlenden Teile nachgeschnitzt.
Am Schluss der Arbeiten erfolgten eine gründliche Reinigung des gesamten Pfeifenwerks der reparierten Windladen und eine komplette Stimmung der ganzen Orgel auf der Basis der leicht ungleichstufigen Temperierung aus dem Jahre 1981 (Valotti / a′=415 Hz).
Würdigung der Silbermann-Orgel
«Seit der Restaurierung der Johann Andreas Silbermann-Orgel 1959-62 übt die ehemalige Domstiftskirche Arlesheim auf Kenner und Liebhaber der Orgel eine starke Anziehungskraft aus. Das kostbare Instrument in dem prächtigen und akustisch günstigen Raum zu studieren, zu spielen oder zu hören, bedeutet eine Feierstunde.»
Rudolf Walter
Organologe
«Die Arlesheimer Orgel nimmt im Gesamtschaffen von J. A. Silbermann eine bemerkenswerte Stellung ein: Unter den erhaltenen dreimanualigen Orgeln ist sie – neben Wasselone – die einzige, die noch sämtliche Windladen besitzt … Sie enthält einen relativ hohen Prozentsatz von Silbermann-Pfeifen.»
Marc Schaefer
Silbermann-Forscher
«Die Klänge, die wir heute in Arlesheim hören, sind zwar nicht «reiner Silbermann». Die Zufügungen im Pedal und die «Handschrift» des Intonateurs Hansueli Metzler haben ein unverwechselbares Timbre geschaffen, das ein breites Spektrum der Orgelmusik von 1500 bis 1850 in faszinierender Weise lebendig werden lässt. Die Schönheit des Klangs, die musikalische Ausstrahlung, eine hervorragende Führung des Gemeindegesangs im Gottesdienst, das alles sind Attribute, die Spielende und Hörende immer wieder bestätigen.»
Jean-Claude Zehnder
Domorganist
Disposition der Silbermann-Orgel
Hauptwerk
* Bourdon 16′
* Montre 8′
* Bourdon 8′
* Prestant 4′
* Nazard 2 2/3′
* Doublette 2′
* Tierce 1 3/5′
* Sifflet 1′
Fourniture 3fach
Cymbale 2fach
* Cornet 5fach (ab c’)
Trompette 8′ (Bass/Disk.)
Voix humaine 8′
Rückpositiv
* Bourdon 8′
* Prestant 4′
* Flûte 4′
* Nazard 2 2/3′
* Doublette 2′
* Tierce 1 3/5′
Larigot 1 1/3′
Fourniture 3fach
Cromorne 8′
Récit/Echo
* Bourdon 8′
* Prestant 4′
Nazard 2 2/3′
Doublette 2′
Tierce 1 3/5′ (Disk.)
Basson/Trompete 8′
Pedal
* Subbass 16′
* Octavbass 8′
Quinte 5 1/3′
Prestant 4′
Fourniture 3fach
Bombarde 16′
Trompette 8′
Clarion 4′
Tremulant
Koppel Rp/Hw
Koppel Hw/Ped
* Silbermann-Register von 1761
Klangbeispiele
CD «Hommage à Silbermann, 250 Jahre Silbermann-Orgel im Dom zu Arlesheim». Es spielt: Jean-Claude Zehnder, Domorganist
Literatur
Die Silbermann-Orgel im Dom zu Arlesheim
Jean-Claude Zehnder, Verlag Schnell+Steiner, 2007
Die Orgeln des Doms zu Arlesheim
Mit Beiträgen von Rudolf Walter, Marc Schaefer, Jean-Claude Zehnder und Peter Koller, hg. vom Verkehrsverein Arlesheim 2011, 2. Auflage